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Denn die Liebe deckt eine Menge von Sünden zu

Predigt über 1. Petrusbrief
Kap 4, vv. 7-11
9.Sonntag nach Trinitatis


Brigitte Gensch

Oleg Kuzenko - Gespräch 1999

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt!


Der Predigtttext für den heutigen So steht im 1. Petrusbrief, Kap 4, 7-11
7. Das Ende aller Dinge aber ist genaht. So seid nun verständig und nüchtern zum Gebet!
8. Vor allen Dingen habet gegeneinander beharrliche Liebe! denn die Liebe deckt eine Menge von Sünden zu.
9. Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren!
10. Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dienet damit einander als gute Haushalter der mannigfaltigen Gnade Gottes!
11. Wenn jemand redet, so rede er es als Gottes Aussprüche: wenn jemand Dienste leistet, so tue er es als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allen Dingen Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, der die Ehre und die Macht besitzt in alle Ewigkeit. Amen.

Liebe Gemeinde,
Wütend kommt Frau Schmitz nach Hause. Den noch tropfnassen Regenschirm schleudert sie in die Flurecke, dort bohrt sich die Schirmspitze in den rechten Hausschuh. Es ist spät geworden, Herr Schmitz ist schon schlafengegangen und hat nicht auf seine Frau gewartet. Diesmal hatte die Presbyteriumssitzung aber auch besonders lange gedauert. Und was war herausgekommen?
Nichts und wieder einmal nichts. Alle wichtigen Entscheidungen waren wieder einmal vertagt, auf die lange Bank geschoben worden. Abtauchen, Sich-Wegducken, bloß keine Farbe bekennen. Dabei dulden die Probleme der Gemeinde keinen Aufschub: die Finanzierung des Kindergartens – ganz ungesichert; die Verhandlungen mit der Nachbargemeinde – alles so zäh und mutlos. 
Frau Schmitz steht nun im Eingang zur Küche. Die Wut ist verraucht, Trauer, Ratlosigkeit und Enttäuschung lassen ihre Schultern herabhängen.
„Wir könnten soviel für unsere Gemeinde bewegen; wenn wir doch einmal den Mut besäßen, uns einige Wahrheiten ins Gesicht zu sagen. Immer dieses `Friede-Freude-Eierkuchen´-Gehabe, alles wird unter den Teppich gekehrt.
Manche in der Gemeinde können sich schon gar nicht mehr offen ins Angesicht schauen. Gleich morgen wird der Tratsch weitergehen. Ja, im Übereinander-Reden sind wir wirklich stark, aber miteinander reden?...“
Frau Schmitz hatte sich für diese Sitzung so viel vorgenommen, all ihren Mut zusammengenommen, um endlich einmal den schon so lange schwelenden Konflikt anzusprechen, der zwischen Herrn K. und dem Gemeindepfarrer herrschte. Aber als sie dann zu sprechen begann und das entsetzte Unverständnis in den Gesichtern sah, da verließ sie all ihr Mut. Kleinlaut stammelte sie etwas wie: „Ich wollte ja nur, ich meine ja nur...“, dann verschwammen die Gesichter der Anderen zu weißen Flecken, Tränen waren ihr in die Augen geschossen, jetzt kamen sie wieder.
Am Sonntag geht Frau Schmitz wie gewohnt zur Kirche. Der G"ttesdienst gleitet an ihr ab, ihre Gedanken sind woanders. Dann wird der Predigttext verlesen:
„Vor allen Dingen habet gegeneinander beharrliche Liebe! denn die Liebe deckt eine Menge von Sünden zu.“
Jäh und heiß steigt die Fontäne des Ärgers in Frau Schmitz hoch, abrupt steht sie auf und verläßt diesen Sonntag die Kirche.
Im hinteren Drittel des Kirchenraumes sitzt Frau Müller, seit Beginn des G"ttesdienstes hat sie ihren Blick nicht gehoben, zu sehr sind ihre Gedanken noch bei dem gestrigen Streit mit ihrem Mann. Der Anlaß war so nichtig gewesen, irgendeine Meinungsverschiedenheit um das abendliche Fernsehprogramm. Aber ein Wort ergab das andere, alte Vorwürfe wurden ausgegraben, Unbewältigtes kam wieder hoch. So waren sie hart aneinander geraten, zu hart. Frau Müller ist bestürzt, zu welch harten Worten sie gestern Abend fähig war.
„Vor allen Dingen habet gegeneinander beharrliche Liebe! denn die Liebe deckt eine Menge von Sünden zu.“
Durch all ihre Verhärtung hindurch trifft sie dieses Wort.
„Wie wahr das ist! Wir lieben uns doch noch immer, der Hans und ich.
Kostbar und verletzbar ist das. Wie schnell kann alles aus sein. Wie schnell kann 'das Ende aller Dinge' nahen, so hieß es doch gerade eben im Predigttext.
Heut´ Abend muß Hans wieder auf Geschäftsreise, 10 Stunden Autofahrt. Großer G"tt, wenn ihm etwas zustieße. Dann wäre unser Streit das Letzte, was wir einander gesagt hätten, dann wäre das böse Funkeln seiner Augen gestern in der Nacht der letzte Blick, an den ich mich erinnern müßte – wie ein böser Schnappschuß, eine Momentaufnahme, in der wir beide, der Hans und ich, erstarrt und festgebannt wären. Nein, so soll es nicht sein, so wird es nicht sein.
Ich will gleich nach dem G"ttesdienst zu ihm gehen und mich mit ihm versöhnen. Und was an
unserer beider Liebe vielleicht fehlen mag, das wird G"tt von Seiner Liebe uns hinzufügen...“
Und so stimmt Frau Müller in den weiteren Fortgang des G"ttesdienstes ein.

Liebe Gemeinde,
Die Liebe, die versöhnt, oder der Teppich, unter den das viele Mißlungene gekehrt wird – das ist hier die Frage. Und wenn die Liebe der Sünden Menge bedeckt, was macht dann der Liebe ärgster Feind, was macht dann der Tod mit der Sünde? Nun, er deckt die Sünde auf, doch nicht befreiend, vielmehr grausam und erbarmungslos. 
So erzählt es uns die Bibel, z.B. in der Apostelgeschichte (Kap. 5): ein Mann mit Namen Ananias und seine Frau Saphira haben gemeindliches Geld für sich zur Seite geschafft. Petrus entdeckt dieses Vergehen und deckt es vor versammelter Gemeinde auf. Kaum ist das Vergehen ausgesprochen, fallen Ananias und Saphira tot zu Boden. 
Eine Möglichkeit, sich zu der Unterschlagung zu äußern, wird nicht gegeben. Zeit, zu bereuen und umzukehren, wird nicht eingeräumt. Gewaltsam schneidet der Tod die beiden Unglücklichen vom Zeitraum ihrer Zukunft ab. 
Stattdessen nagelt er die beiden auf ihre schuldhafte Vergangenheit fest wie noch je der Tod den Menschen auf seine Vergangenheit festgenagelt hat: „ Du bist, was du getan hast.“ 
Der
Tod wie die Sünde, sie sind vom gleichen Schlag: sie wollen sich den Menschen unterwerfen, und deshalb wollen sie ihm die Freiheit nehmen, er könne doch auch noch einmal anders und mehr sein als seine Werke. Die Sünde wie der Tod, sie sind G"ttes ärgste Feinde. Denn G"tt will, daß wir leben, obgleich wir sündigen. Und so spielt er uns immer wieder die Zukunft zu, zu ihm umzukehren – jenseits unserer Taten.
„Du bist für mich gestorben“: wir sollten einander dieses schlimme Wort und diese schlimme Tat nicht antun, um G"ttes Willen nicht. Sicher, nicht der endgültige Tod, sondern „nur“ der kleine Tod eines Beziehungsabbruches ist gemeint. Doch schlimm genug, denn zumindest auf mich bezogen soll mein Nächster keinerlei Zukunft mehr haben. 
So lassen wir G"ttes letzten Feind, den Tod, bei uns ein.
Und wie macht es nun die Liebe, die der Sünden Menge bedeckt? 
Wie ist das überhaupt gemeint, daß die Liebe eine Bedeckung, eine Hülle sei – wie ist das biblisch gemeint?

Liebe Gemeinde, 
lassen wir uns also biblisch erinnern, gehen wir einiges rückwärts vom Petrusbrief fast am Ende des NT bis fast zum Anfang zwar nicht der Bibel, aber doch des 2. Buches Mose
Da verhüllt sich G"tt im brennenden Dornbusch, als Er sich Mose so vorstellt: 
„Ich werde mit dir und den Deinen sein; Ich bin der, der mit euch ist – das ist MEIN NAME.“ 
Und als Mose die zwei Tafeln mit den Geboten vom Berge Sinai herabbringt, da ist sein Antlitz von der Herrlichkeit G"ttes, dem er begegnete, noch so überhell, daß Mose es mit einer Hülle bedecken muß, die Kinder Israel würden sonst vergehen. 
Die Tafeln werden in eine Lade gelegt, um sie herum das Stiftszelt errichtet. Auf der Lade ruht eine Deckplatte auf, aus deren beiden Enden zwei goldenen Cherubim herausgearbeitet sind. „
Kapporet“ nennt die Bibel die Deckplatte („Kappoires“ auf jiddisch). Und G"tt verspricht Mose, daß Er ihm zwischen den Cherubim auf der Bedeckung der Bundeslade begegnen werde, um ihn zu unterweisen.
Später dann im Tempel zu Jerusalem geht der Hohepriester einmal im Jahr in das Allerheiligste mit der Bundeslade; eine Wolke von Räucherwerk, die über der Bundeslade sich ausbreitet und Blut eines geschlachteten Tieres reinigen das Heiligtum von allen begangenen Übertretungen. Einmal im Jahr geschieht das, am sog. „
Jom Kippur“, d. h. übersetzt Versöhnungstag (und „Kippur“ und „Kapporet“, wie zu hören ist, sind verwandte Worte derselben Wurzel: „bedecken“).
Immer noch bis auf den heutigen Tag ist dieser Tag der wichtigste im jüdischen Jahr, denn er schenkt Vergebung und Neuanfang.
Für uns Christen ist der Jom Kippur, der Versöhnungstag
zur Person geworden, in unserem Herrn Jesus Christus nämlich.

Sehen Sie nun, liebe Gemeinde
daß die Decke der Liebe etwas ganz anderes ist
als ein Teppich für Kehricht?
Die Bedeckung, von der die Bibel spricht, deckt wohl auch zu: sie bedeckt das, was G"tt und uns daran hindert, einander zu begegnen, sei es die Überhelle Seines Antlitzes, sei es die Finsternis unserer Verfehlungen. Und so eröffnet sie den Raum, aufeinander zuzugehen, es miteinander zu versuchen, gemeinsam Wege zu gehen; streitbar-liebevoll. Der Schutzmantel SEINES NAMENS ist es, der diesen Raum aufspannt: „Ich werde mit dir und den Deinen sein“, wir können uns darauf verlassen.
Und was wir dann alles tun können, was wir dann alles zu tun bekommen:
Wir gehen aufeinander zu, offen und ohne Maske. Wir sagen uns, was wir aneinander zu kritisieren haben. Doch wir tun es so, daß wir einander das grelle und erbarmungslose Licht der Beschämung ersparen. Wir bewerten und wir beurteilen, und das ist recht, denn wir - wie auch G"tt - unterscheiden zwischen Werk und Person.
Wir stehen füreinander ein und wir beten füreinander:
„Vater, vergib´meinem Nächsten seine Schuld, schau stattdessen auf die meine.“ 
So werden wir einander zum Christus (Luther übrigens war es, der das zu sagen wagte).
Wir freuen uns an den Gaben und Begabungen, den eigenen wie denen der Anderen, und wenn da jemand ihr Licht unter den Scheffel stellt, dann stellen wir es ins Offene, damit alle erkennen können, wie wunderbar sie G"tt bereitet hat.
Das alles tun wir nicht um unseretwillen, sondern auf daß in allem G"tt verherrlicht werde. Und dann wird das Ende aller Dinge genaht sein, weil dann das Reich G"ttes anfängt.
Amen.

Und der Friede G"ttes, der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.


Predigt für den 9. So n. Trin. ( 28.07.02 )

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28.07.2002