Gnade sei mit euch und
Friede von dem, der da ist und der da war
und der da kommt.
Joh 16, 16-22 |
16 Eine kurze
Zeit, so seht ihr mich nicht mehr, und wiederum eine kurze Zeit, so werdet ihr
mich sehen.
17 Da sagten
einige von seinen Jüngern zueinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Eine
kurze Zeit, so seht ihr mich nicht, und wiederum eine kurze Zeit, so werdet ihr
mich sehen, und: Ich gehe hin zum Vater?
18 Sie sagten
nun: Was bedeutet das, was er «die kurze Zeit» nennt? Wir wissen nicht, was er
redet.
19 Jesus merkte,
dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Darüber verhandelt ihr
miteinander, dass ich gesagt habe: Eine kurze Zeit, so seht ihr mich nicht, und
wiederum eine kurze Zeit, so werdet ihr mich sehen ?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr
werdet weinen und wehklagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig
sein, doch eure Traurigkeit wird zur Freude werden.
21 Wenn die Frau
gebiert, hat sie Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das
Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass
ein Mensch zur Welt geboren ist.
22 Auch ihr nun
habt jetzt Traurigkeit; ich werde euch aber wiedersehen, und euer Herz wird sich
freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch.
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Wo aber, liebe
Gemeinde,
ist denn
nun unser lautes Halleluja, unser
befreites G“tteslob und Jubilieren, heute am Sonntag,
an dem wir gehalten sind zu jubilieren: Jubilate,
jubelt?
Unser
Jauchzen, ohne alles „Doch“ und „Dennoch“, ohne „ja, aber“ und was sonst noch
uns fesseln und uns zurückbinden könnte?
Wo ist
denn nun das Neue, das alle
Einsprüche der Vergangenheit vergehen läßt,
weil
alles Alte vergangen ist? „Denn siehe: Neues ist geworden, das Alte ist
vergangen“?
Wo ist das nun,
da
Jesus geht, weggeht? Und mit ihm
wird die Freude mitgehen und die Seinen verlassen. Sie werden ihrer
Traurigkeit überlassen sein, ohne ihn
und nur mit der Welt. Die aber wird
feixen und gleichgültig sein. So wird es kommen; er sagt es ihnen.
Er sagt
es uns. Und unsere österliche Freude trübt sich. Die Schatten der
Vergangenheit kommen wieder und wollen das neue Licht auffressen, das Licht
des Ostermorgens, das Licht des Sonntages wie jedes neuen
Schöpfungstages.
Jesus
geht und führt uns abwärts, dorthin, wo uns schwer ums Herz
wird.
Jesus
geht und führt uns zurück, dorthin, wo wir schon wanderten, in das Tal der
Todesschatten, dort am Fuße des Berges mit den drei Kreuzen. Zurück in die
Zeit des Abschiedes, zurück in die Zeit vor Ostern, vor Karfreitag und noch
weiter zurück.
Noch ist
man beieinander und hat sich. Und wenn man einander liebt, möchte man doch
miteinander bleiben, nicht wahr? In das Beisammen-Sein
hinein spricht Jesus davon, daß sie sich trennen
werden. „Ihr werdet mich nicht mehr sehen“, Verlust des Sichtkontaktes also,
„Ihr werdet mich aus den Augen verlieren“.
Dorthin,
wohin er geht, kommen die Seinen nicht nach, weder mit Blicken noch sonst; dort,
wo er sein wird, können sie nicht sein. Unerreichbar wir er ihnen sein, ganz und
gar entzogen. Unwiederbringlich weg, zunächst und eine Weile.
Was
Wunder, daß Jesu Freunde das nicht verstehen.
Ratlosigkeit, Verständnislosigkeit befällt sie, hält sie fest, verknotet sie
miteinander. So sehr, daß sie es nicht einmal
schaffen, sich mit einer Frage nach außen und an ihn zu wenden. Jesus bemerkt
ihre Fraglosigkeit und gibt ihnen ihre Frage zurück,
wie ein Spiegel, wie ein Therapeut. Sie werden ihrer Frage ansichtig, und so
entwirrt sich ihre Verwirrung auf eine erste Weise.
Liebe
will bleiben und Liebende wollen beieinander sein, versprochenerweise mindestens bis zum
Tod.
„Weh
spricht: vergeh! / Doch alle Lust will
Ewigkeit“,
sagte
der Philosoph Friedrich Nietzsche einmal. Nun, das mit dem Ewigkeitswillen der
Lust, das verstehen wir unmittelbar, aber wie steht es mit der Liebe? Will auch
sie immer dasselbe und sich selbst, für alle
Ewigkeit?
Wir
wissen es anders; daß sie nämlich nicht das Ihrige
will, vielmehr alles erträgt. Auch den Abschied, auch das Gehen und Weggehen.
Sie kann auch gar nicht anders, wenn es für den Geliebten so besser
ist.
Jesus
sagt den Seinen, was für ihn das Beste ist: er wird zum Vater gehen. Dorthin,
von wo er kam und wo er ganz zuhause ist.
Seine
Freunde verstehen das nicht, noch nicht, denn sie haben ihre Traurigkeit noch
nicht. Wenn aber die Trauer kommt, werden sie es lernen:
wie die
Liebe ist, die nicht das Ihrige, sondern das Seinige, das des Geliebten
will.
Deshalb
liegt auch für die Jünger etwas Gutes darin, daß Jesus
geht. Sie erfahren darin
G“tt. Sie erfahren: G“tt ist Der, Der ihnen Jesus nimmt, um diesen ganz zu sich
zu holen. Sie erfahren: Jesus ist einer, den sie an G“tt verlieren
können.
Der, je
näher er dem Vater kommt, desto größeren Abstand zwischen sich und uns setzt.
Über den Abstand hilft kein Hinterhersehen, über den Abstand hilft nur der
Glaube. Verlassen zu werden, zurückzubleiben und zu verlieren, nicht nur ist es
die Weise, wie wir Menschen menschlich sind, es ist auch die Weise, wie G“tt für uns G“tt ist. Wir, die
Jüngerinnen und Jünger Jesu erfahren es durch ihn, der weggeht. Wir lernen
es: den Geliebten an G“tt loszugeben und doch Kontakt zu halten,
Glaubenskontakt. Anders kommt Jesus nicht zu uns zurück, anders begegnet er
uns nicht wieder. Begegnung bedarf auch der Losgabe, anders wird sie uns zu Zeiten
nicht. Weder diesseits noch jenseits des Grabes, ich meine des leeren
Grabes zu Ostern. Auch der trauernden Maria, sagt der auferweckte Jesus, nachdem
sie ihn erkannt hat: „Halte mich nicht fest!“
Und für
heute und ins Diesseits des vorösterlichen Beisammen spricht
er:
„Ich
gehe weg zum Vater; und nach einer kurzen Weile werde ich von dort
wiederkommen.“
Wie
souverän er das sagt, wie frei er gegen Raum und Zeit ist. Noch ist nichts
vollbracht, aber er schaut schon durch seinen Tod hindurch und übers Grab
hinaus. Aus seiner Zukunft kommt er zurück und erzählt den Seinen, wie es
geschehen wird. So tröstet er sie. Er bringt das österliche Leben unter sie; er,
der Totgeweihte, lebt schon aus der österlichen
Freude, die er ihnen mitteilt.
Die er
uns mitteilt. Nach Ostern sind wir und leben doch vor Ostern, immer wieder,
immer noch. Der Tod ist so gegenwärtig wie er Zukunft hat, wer könnte das
bestreiten.
Und doch entzünden wir unser Licht
am österlichen Licht, schon jetzt.
Ich
werde ins KH gerufen, denn ein Mensch, den ich begleitet habe, ist gestorben.
Zur Aussegnung nehme ich eine Bibel, ein kleines Kreuz, ein Gebetbuch und eine
kleine Kerze mit. Im Zimmer entzünde ich das Licht.
Woher
ich es nehme, das Licht? Von Ostern nehme ich es, wirklich und einzig daher, aus
G“ttes Wirklichkeit des von jedem Tode befreiten Lebens.
Das
leuchtet dann in der Gegenwart des Toten und den Angehörigen zum Trost, und auch
mir. Das macht den Raum hell, trotz der Gegenwart des Todes und in seine
Zukunft hinein, die er sich immer noch nimmt. Über dessen Zukunft hinaus
bis dorthin reicht es, wo Christus uns entgegenkommt.
Weit sei
die Strecke nicht und lange müßten wir nicht warten,
so hat er es uns versprochen. Zwischen Gehen und Kommen trete nur eine
kurze Weile, und unsere Trauer würde zur Freude, ohne Frage, ohne alle Frage.
Aber
selbst eine kurze Weile kann sich zur Ewigkeit dehnen, und ein geringer Abstand
zum klaffenden Abgrund werden, unüberbrückbar. Wie
komme ich denn von hier nach da, von jetzt nach gleich, ohne zu straucheln und
ohne abzustürzen? Was trägt mich denn über die Weile, in der ich von Jesus und
von G“tt verlassen bin?
Nur mein
Glaube, der mich trauern und der mich hoffen läßt.
Denn die Trauer bleibt dem Verlorenen treu, gerade da, wo sie es nicht
festzuhalten trachtet.
Und ohne
die Treue gegen das, was nicht mehr ist, und gegen den, der nicht mehr ist, weiß
auch die Hoffnung nicht so genau, auf wen und worauf sie hoffen soll.
Es ist der Schmerz des Verlustes, der unsere Hoffnung
präzisiert, genau macht. Und es ist die Hoffnung, die davor bewahrt, im
Schmerz zu vergehen.
Jesus
geht; wir aber bleiben an ihm hängen, mit unserer Trauer und mit unserer
inständigen Erwartung, daß er komme, bald. So
wird uns die Zeit zur Kurzweil.
Die Welt aber hat keine Trauer und keine
Hoffnung, nur Feixen und falsche Freude. Wir gehören zur Welt, immer dann, wenn
wir uns unempfindlich gegen Verluste machen; wenn wir übers Gegebene hinaus
nichts mehr erwarten. Immer dann sind wir ganz von dieser Welt. Und die Zeit
hier wird uns lang und zur Ewigkeit.
Es ist
gut für uns, daß Jesus geht, denn wir lernen daran zu
trauern und zu hoffen. Zuletzt können wir beides nur Kraft des Geistes, den er
uns zu senden versprochen hat. Der tröstet uns und
hilft, unsere Seufzer zu formen, und wenn wir nicht wissen, wie wir beten sollen.
Und
endlich wird er kommen, wiederkommen. Und dann wird Freude sein, ganz rein und
ohne allen Falsch. Ein Jauchzen und Jubilieren, ohne jede Trauer – wie über ein
Neugeborenes, wie über ein neues Leben.
Amen.
Und der
Friede G“ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre
unsere Herzen in
Christus Jesus.
Amen.
Liturgie