Erinnern Sie sich, liebe Gemeinde?
Vor mehr als einem Jahr stellte ich mich in der KG Hürth mit „Schalom“ vor.
Und nun, da ich diese Gemeinde wie den kirchlichen Dienst überhaupt verlassen
habe, verabschiede ich mich „tacheles redend“. Denn „tacheles“, das bedeutet
nicht nur deutlich zu reden, sondern vom Ende und Ziel einer Sache her aufs
Wesentliche zu blicken. Ein Blick zurück also, am Ende meines kirchlichen
Dienstes; ein Blick, den ich veröffentliche, weil dies zu tun ich Menschen
in der Gemeinde, meine Gegner eingeschlossen, und mir selbst schuldig bin.
Zurückblickend tauchen viele Szenen
seelsorglicher Begegnung auf: Gesichter, Gesten, Gespräche, Gebete; ein gutes
und manchmal sehr intensives Aufeinandertreffen, eine Begleitung über die
punktuelle Kasualie hinaus. Vieles, was ich in guter und dankbarer Erinnerung
bewahren werde, ereignete sich rund um das „Kraftfeld“ des SANA-Krankenhauses.
Und auch andernorts öffneten sich freie Räume: in der Gesprächskontinuität
des Bibelkreises, im Zusammensein der Kendenicher Frauenhilfe, in der Vorbereitung
meiner Predigten und GOTTES-dienstgestaltung, für welche ich mir reichlich
Zeit, „meditative“ Zeit nahm, in der mich GOTTES Gedanken nährten – ich wäre
sonst, trotz der genannten Inseln des Positiven, in diesem Hürther Jahr geistlich
verhungert. Verhungert an Gleichgültigkeit, am Mangel der Bereitschaft, sich
auseinanderzusetzen, zu streiten und zu klären, ja überhaupt sich in Beziehung
zu setzen. Und erst dann und aufgrunddessen zu urteilen.
Stattdessen:
„Sie haben hier von Anfang an keine
Chance gehabt, gleich, was Sie taten. Das Urteil stand sehr bald fest. Das
dazu Passende hat man sich dann zusammengesucht,“ äußerten sich Gemeindeglieder,
mit denen ich sprach, zum Ende hin.
Das Urteil, gefällt nicht von der Gemeinde,
sondern von einer tonangebenden Anzahl von Gemeindegliedern, PresbyterInnen.
Das Urteil, beizeiten, mit fataler Wirkung und durchaus wissentlich weitergegeben
von denen, die über mich zu urteilen zwar die Macht hatten, das Recht aber
nicht. Denn das, was man mir kritisch vorhält, stützt ganz überwiegend sich
aufs bloße Hörensagen, Zu- und Zwischenträgerei, auch auf falsche Tatsachenbehauptung
und das Aufbauschen von Fehlern, die ich wie jeder Mensch mache und gemacht
habe. Nur darauf stützt sich das Urteil nicht: auf ein klärendes und offenes
Gespräch mit mir, auf eine Ausspache, die diese Bezeichnung verdient.
Und woher nun das Urteil? Besehe ich
die schriftlich (auch mir) vorliegenden Voten derer, die Verantwortung tragen,
so sehe ich hinter dem Schleier von Behauptungen und (Ab-)Wertungen eine affektive
Abwehr dessen, wofür ich mit „Leib und Seele“ einstehe: Zeugnis abzulegen
für eine Theologie der Umkehr, für eine „Erneuerung des Verhältnisses von
Christen und Juden“, wie der rheinische Synodalbeschluß von 1980 heißt, der
vergangenes Jahr so vollmundig gefeiert wurde. Diese Erneuerung – beiher:
sie ist reine Gnade - nicht nur an besonderen Tagen, nicht nur in einer besonderen
Predigt zur Sprache zu bringen, sondern sie in Gebet, Lied, Lesung und Schriftauslegung
zu entfalten – und immer. Nicht Unverständnis regierte das Urteil über mich,
vielmehr ein Unwille, ja Widerwille dagegen, jeden christlichen GOTTES-dienst
in Verantwortung vor Israel und vor dem Antlitz des GOTTES Israels zu gestalten.
Und woher der Widerwille? Wohl, so denke ich, letztlich aus der Angst, ein
„religiöses Ich“, eine „evangelische Identität“ zu verlieren. Als hätte der
Jude Jesus die Seinen nicht unterwiesen, daß solcher Ich-Verlust Lebensgewinn
sei.
Nun wende ich mich um, und aus der
Vergangenheit nehme ich in meine Zukunft, was mein ganzes Leben prägt: Zeugnis
für ADONAI abzulegen, indem ich Seinem Volk diene. Wie auch Christus es tat,
den Paulus einmal „Diener der Beschnittenen“ nennt (Röm 15,8). Was anders
wäre Nachfolge?
Und daß solcherart auch „extra muros“ (außerhalb der Mauern
der Kirche) Heil, also „Schalom“ ist, diese Gewißheit teile ich mit unseren
Reformatoren.
Köln, den 30.01.06
Brigitte
Gensch
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