Gnade sei mit euch und
Friede von dem, der da ist und der da war
und der da kommt.
Der Predigttext für den heutigen
Ewigkeitssonntag steht
im Ev. nach Lukas, Kap.12, vv.35-46
Liebe Gemeinde,
Dieser Tag, der der Sonntag der Ewigkeit genannt wird, dieser Tag stellt
uns auf eine Grenze, führt ins einen Grenzbereich. Wir wenden
uns um. Und blicken zurück auf das vergangene Jahr. Auf unsere Abschiede,
Trennungen, den Verlust, den wir erlitten, weil der Tod uns einen geliebten
Menschen weggenommen und ins Unerreichbare entzogen hat. Blick zurück in Trauer.
Wir wenden uns um und blicken voraus. Denn wir erwarten, was aus der Zukunft
uns begegnen möchte. Bald, schon bald werden wir ganz in diesen Zeitraum der
Erwartung eintreten, bald wird uns adventlich zumute werden.
Noch sind wir auf der Grenze und im Grenzbereich.
Wie hell oder dunkel ist es dort wohl? Ich glaube, für jeden und jede von
Ihnen, liebe Gemeinde, ist es anders; auch ist nicht jeder Tag gleich hell
oder dunkel. Sondern je nachdem, wieweit der Tod und das Todesdunkel über
unsere Seele Macht hat, oft gegen unseren Wille und ganz unverfügbar.
Manche Menschen sind so sehr an ihre Trauer verloren, daß sie sich selbst
und der Welt abhanden kommen. Und wenn sie es doch einmal mit der Welt versuchen
und sich auf deren freundlich-freudige Seite begeben, dann fährt als einzige
Helligkeit ein Schmerz durch ihre Seele, der sie an das Verlorene gemahnt,
sehr unerbittlich und gebieterisch. Als ob sie, wenn sie sich einer anderen
Helle überließen, das Verlorene verrieten und ihm untreu würden und es
so ganz und auf ewig verlören.
Menschen, die ganz von Trauer umfangen sind, sind durchaus nicht orientierungslos.
Aber was einzig sie orientiert, ist der geliebte Mensch, den der Tod unerreichbar
weggenommen hat.
Menschen, die tief trauern,
haben Zeit. Aber anders als die Menschen
ihrer Umgebung. Denn Zukunft und Vergangenheit haben sich gleichsam verkehrt
und die Plätze getauscht: weil das, was vergangen ist, nicht vergehen will,
sondern durchs gegenwärtige Leben auf die Zukunft übergreift. So besitzt die
Vergangenheit die Zukunft. Und deshalb ist die Zukunft immerschon vergangen.
Tieftraurige Menschen gehen
vorwärts in ihre Vergangenheit, immer
wieder, immer aufs Neue, obgleich da nichts Neues ist, in ihrem aber Rücken
liegt die Zukunft. Sie ist schon gelebt, denn was noch sollte sich ändern?
Doch es hat sich etwas verändert. Ganz da vorne und in weiter Ferne. Es kommt
auf uns zu, zunächst noch verhüllt in eine biblische Geschichte, in ein Bildgleichnis,
das der Evangelist Lukas uns für heute vor Augen malt.
Er kommt auf uns zu, Christus. Er ist aufgestanden vom himmlischen
Gastmahl, um zu uns zurückzukehren. Er ist dort nicht sattgeworden, denn er
hat Verlangen nach den Seinigen. Aufgemacht hat er sich; nun ist er unterwegs.
Licht auf seinem Wege ist, daß wir auf ihn warten. Mit unserer brennenden
Geduld, die seiner wartet. Mit unserem heißen Herzen, das nach ihm sich sehnt.
Mit unseren leuchtenden Augen, die nach ihm Ausschau halten.
Wie sollte er uns denn sonst finden - in all der Weltennacht, die er durchqueren
muß?
Doch der Anfang ist gemacht, Christus ist aufgebrochen. Es kann nicht anders
sein. Sein ganzes Wesen gebietet das: mitzuteilen, was ihm zuteil geworden
ist, uns zu übereignen, was ihm zueigen geworden ist – statt es nur für sich
behalten zu wollen.
Von seiner Lebendigkeit will er uns mitteilen, über die der Tod nichts mehr
vermag.
Mit österlichem Lachen will er uns anstecken, auf daß der Tod beschämt sei.
Und satt sollen wir werden. Deshalb bindet er sich eine Schürze um, „umgürtet
sich“ – wie Lukas sagt – und heißt uns niedersitzen. Denn er selbst will
uns bedienen und zu essen geben, mit Himmelsmanna und irdischem Brot, daß
beides, unser Leib und unsere Seele satt werden. Umgürtet sich, nicht um ein
Zeichen für einen baldigen Aufbruch zu setzen, sondern um uns zu Dienst zu
sein und um mit uns bleibende Lebensgemeinschaft zu haben.
Christus ist zu uns unterwegs. Er kann nicht anders. Er, dessen Antlitz noch
die Todesspuren von Golgatha zeigt und in dessen Leib die Male der Folter
eingezeichnet sind, er weiß darum, wie wir vom Tod umgeben sind.
Wie bang und angst uns vor dem Ende ist.
Wie unser Zweifel unsere Hoffnung auffrißt.
Er weiß es, denn er war einer von uns und kennt die Menschenwelt. Von unten.
Von ganz unten. Dort, wo nicht nur die Menschenwelt, sondern alle Schöpfung
in den Abgrund hängt. Dorthinab trieb ihn sein Verlangen, von G“ttes Versöhnung
Zeugnis abzulegen, dorthin zog ihn sein Hunger, G“ttes Liebe auszuteilen.
Der also kommt zu uns.
Und wie er uns antreffen soll, das sagt uns Lukas mit deutlichem Appell:
„Eure Lenden seien umgürtet und eure Lichter brennend!
Und ihr sollt Menschen gleich sein, die auf ihren Herrn warten“.
Aufbruchstimmung, wie die Kinder Israel in der Nacht vor dem Auszug aus Ägypten:
auch die hatten die Lenden gegürtet, den Stab in der Hand ( 2. Mose 12, 11).
Zukunftssinn in der Nase, Erwartung im Herzen, alle Aufmerksamkeit geht nach
vorne. Die Sehnsucht hin zu dem, der zu kommen verheißen hat, die Sehnsucht
spannt den Raum auf und rollt den Weg aus.
Aber warten zu können, bedeutet noch anderes und mehr denn nur zu erwarten.
Das Warten bringt der Erwartung die Geduld bei, ohne welche sie zu
stürmisch, zu zukunftsstürmisch werden könnte. Warten zu können, ist eine
Gnade. Wer warten kann, hat die Gelassenheit, die Zeit durch sich hindurchgehen
zu lassen.
Aufmerksam fürs Neue und Wesentliche, aber nicht versessen darauf, jedem
Augenblick alles abpressen zu müssen.
Wer das Warten vermag, kann eine Gelegenheit, die verpaßt wurde und ins Vergangene
schwindet, auch gehen lassen. Denn er hält es nicht für unmöglich, daß künftig
sie einmal – wenn auch anders – wiedergrüßt. Menschen, die zu warten verstehen,
können gehen lassen und freigeben. Denn sie haben eine Hoffnung und eine Erwartung.
Sogar bis ans Ende und über den Tod hinaus. Dem entgegen, der auf uns zukommt.
Das Warten ist so freigiebig, weil die Erwartung es auf Zukunft hin richtet.
Erwartung braucht Geduld, das Warten aber die Unruhe unserer Hoffnung, die
uns nach vorne richtet.
Christus ist unterwegs zu uns, zu uns allen: zu uns, die wir trauern und
kein Licht brennen haben. Und zu uns, deren Hoffnungslicht für Christus den
Weg bereitet.
Denn
eine Hausgemeinschaft sind wir. Zum treuen und klugen Haushalter
sind die bestellt, die teilen können, nicht die, die mehren und aufhäufen.
Die, die teilen und mitteilen von ihrer Hoffnung.
Die den Trauernden von ihrer Zuversicht zu essen geben. Und die von ihre
Zeit schenken.
Um zu trösten, um zuzuhören.
Um mitzugehen in das Dunkel der Seele. Und dann auch wieder, um das Dunkel
aufzuhellen. Mit Freundlichkeit und einem Lächeln.
Um die leere Unendlichkeit der Trauer heilsam zu unterbrechen. Indem die
klugen Haushalter der Hoffnung die Hoffnungslosen sanft umwenden, zur Zukunft
hin. Und nicht aufgeben, wenn sie sich wieder zurückwenden. Sondern es immer
wieder versuchen, 7x77mal – ja, warum denn nicht?
Und wenn die versteinerte Trauer in Tränen sich auflöst, so ist auch das
gut.
Schon jetzt.
Dann aber wird G“tt selbst kommen.
Und wir werden alle vom Tisch aufstehen und uns umwenden. Wir alle mit unseren
Todesspuren im Antlitz und unseren Leidensmalen am Leibe und an der Seele.
Und dann werden wir uns sättigen, denn wir werden den großen König sehen.
Amen.
Und der
Friede G“ttes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre
unsere Herzen in
Christus Jesus.
Amen.
Lk 12, 35-46
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35 Eure Lenden seien umgürtet
und eure Lichter brennend!
36 und ihr sollt Menschen
gleich sein, die auf ihren Herrn warten, wann er vom Gastmahl aufbrechen wird,
damit sie, wenn er kommt und anklopft, ihm alsbald auftun.
37 Wohl jenen Knechten, die
der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird! Wahrlich, ich sage euch: Er wird
sich umgürten und sie heissen, sich zu Tische setzen, und wird hinzutreten und
sie bedienen.
38 Und wenn er in der zweiten
und wenn er in der dritten Nachtwache kommt und sie so findet, wohl ihnen!
39 Das aber merket: Wenn der
Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, würde er nicht in sein Haus
einbrechen lassen.
40 Auch ihr sollt bereit
sein; denn der Sohn des Menschen kommt zu einer Stunde, wo ihr es nicht meint.
41 Petrus aber sagte: Herr,
sagst du dieses Gleichnis zu uns oder auch zu allen [andern]?
42 Und der Herr sprach: Wer
ist also der kluge, treue Haushalter, den sein Herr dazu über sein Gesinde
setzen wird, [ihnen] zur rechten Zeit ihr Mass Speise zu geben?
43 Wohl jenem Knecht, den
sein Herr, wenn er kommt, bei solchem Tun finden wird!
44 Der Wahrheit gemäss sage
ich euch: Er wird ihn über sein ganzes Besitztum setzen.
45 Wenn aber jener Knecht in
seinem Herzen sagt: Mein Herr verzieht zu kommen, und anfängt, die Knechte und
die Mägde zu schlagen, und zu essen und zu trinken und sich zu berauschen,
46 so wird der Herr jenes
Knechtes an einem Tage kommen, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde,
die er nicht weiss, und wird ihn in Stücke hauen lassen und ihm sein Teil unter
den Ungläubigen geben.
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Liturgie